Thermische Sanierung

Neue Studie: Gebäudesektor erst 2075 klimaneutral?

Klimaneutralität
02.10.2024

Eine aktuelle Studie des Marktforschungsunternehmens Branchenradar kommt zu einem ernüchternden Ergebnis: Das Ziel der Regierung, den österreichischen Gebäudesektor bis 2040 zu dekarbonisieren, dürfte weit verfehlt werden. Das realistische Datum: 2075.
Neue Studie: Gebäudesektor erst 2075 klimaneutral?
Neue Studie: Klimaneutralität des Gebäudesektors erst in 2075?

Die Aussage wird nicht jedem gefallen. Aber sie ist eindeutig. „Das Ziel ist nicht zu erreichen.“ Mit dem „Ziel“ meint Andreas Kreutzer das Vorhaben der Bundesregierung, den Gebäudesektor bis zum Jahr 2040 zu dekarbonisieren. In anderen Worten: Innerhalb von 16 Jahren soll der Betrieb von Gebäuden in Österreich keine CO₂-Emissionen mehr erzeugen.

Studie statt Bauchgefühl

Die Einschätzung basiert nicht auf einem Bauchgefühl, sondern auf einer aktuellen Studie, die der Geschäftsführer des Marktforschers Branchenradar erstellt hat. Aus heutiger Sicht, also falls Politik und Bauwirtschaft keine drastischen Kurskorrekturen vornehmen, ist die Klimaneutralität bis 2040 so realistisch wie die Hoffnung, in den nächsten Jahrzehnten von Rekordhochwassern verschont zu bleiben. Das Ergebnis der Studie: Vor 2075 ist die Dekarbonisierung des Gebäudesektors nicht zu schaffen.

Branchenradar hat bei seinen Berechnungen die verfügbaren Zahlen analysiert. Demnach sind 1,9 Millionen Wohnungen und 220.000 Nicht-Wohngebäude in Österreich „zumindest zum Teil thermisch-energetisch sanierungsbedürftig“ gewesen. Konkret waren laut Studie 1,8 Millionen Heizungen auf regenerative Wärmesysteme umzustellen, 13,4 Millionen Fenster zu tauschen sowie 332 Millionen m² Dachflächen und 355 Millionen m² Fassaden zu dämmen. Und was nach viel klingt, ist auch viel. Denn diese Zahlen entsprechen laut Branchenradar zwischen 31 und 49 Prozent des Bestands.

Wolle man diese „Mammutaufgabe“ bis 2040 stemmen, so Branchenradar weiter, müsse man die bestehenden Sanierungsquoten massiv erhöhen – bei den Heizungen von 0,8 auf 2 Prozent des Gebäudebestands, bei Fenstern von 1,4 auf 1,8 und bei Dach- und Fassadendämmungen von 0,6 auf 0,7 sowie von 2,6 auf 2,9. Die grüne Transformation kostet natürlich eine Menge Geld: „Aus heutiger Sicht sind dafür Investitionen im Ausmaß von insgesamt 259 Milliarden Euro notwendig“, meint Kreutzer und ordnet diesen Betrag gleich ein: „Das entspricht in etwa dem Fünffachen der jährlichen Bauproduktion.“

Wie man diese Summe auftreiben will, steht in den Sternen. Aber das Geld ist nicht einmal das größte Hindernis. Das ist vielmehr ein Problem, unter dem die Bauwirtschaft seit geraumer Zeit leidet – der Mangel an geeignetem Personal im Bauhandwerk. Branchenradar rechnet vor: Zwar kamen durch Zuwanderung aus dem Ausland seit 2014 rund 375.000 Menschen in Österreich zusätzlich auf den Arbeitsmarkt. Davon entschieden sich aber nur 32.000 für die Bauwirtschaft. Gleichzeitig sank die Zahl der Lehrabschlüsse in den für die thermisch-energetische Sanierung relevanten Gewerken deutlich. Schlossen 2018 noch insgesamt 4.800 Auszubildende in diesen Gewerken die Lehre ab, so waren es 2023 nur noch 3.600.

Der Fachkräftemangel ist in den einzelnen Gewerken allerdings unterschiedlich stark ausgeprägt. Bei Fenster und Heizungen schaut es besser aus, bei Fassade und Dach deutlich schlechter. Nimmt man an, dass das Geld für die Sanierungen zur Verfügung stehen, die Personalsituation sich aber nicht wesentlich ändern würde, ergeben sich laut Branchenradar-Studie folgende Werte für das Erreichen der Klimaneutralität: Bei Fenster und Heizung würde sich die Verspätung mit 2042 und 2046 noch einigermaßen in Grenzen halten. Bei Fassade mit 2061 und Dach mit 2075 wäre sie aber gewaltig.

Studienautor Kreutzer empfiehlt im Wesentlichen drei Maßnahmen, mit denen man die Transformation beschleunigen könnte. Erstens: Den Ausbau der Personalkapazitäten durch gezielte Migration von Fachkräften ins Bauhandwerk, etwa indem man spezielle Anreize setzt. Zudem die Verbesserung er Lehrlingsausbildung, um die Attraktivität von Handwerksberufen zu erhöhen. Kreutzer: „Hier kann das Bauhandwerk einiges von der Industrie lernen.“

Maßnahmen zwei betrifft die Erhöhung der Produktivität am Bau. Laut einer Studie der ETH-Zürich, so Kreutzer, "wird auf den Baustellen im Schnitt nur 60 Prozent der Arbeitszeit in tatsächliche Bauleistungen umgesetzt.“ Der Rest gehe durch personal, oder störungsbedingte Unterbrechungen Auf- und Umräumen, Materialsuche oder Personalstehzeiten verloren. Maßnahmen Nummer drei geht es dann ums Geld. Der Branchenradar-Chef rät dazu, dazu, gezielt „umfassende Sanierungen zu fördern, bei denen die Sanierung der Gebäudehülle mit dem Austausch der Heizung kombiniert wird“. Kreutzer: „Der Austausch der Heizung ist erst dann wirklich effizient, wenn zuvor das Haus gut gedämmt ist. Sonst geht viel Energie verloren.“

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