Brennpunkt
Stimmung im Sturzflug
Die meisten von ihnen haben Glück gehabt: Der Schock war zunächst groß, die Rettung kam aber relativ schnell. Die Rede ist von den rund 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des niederösterreichischen Dämmstoffspezialisten Brucha. Anfang des Jahres musste das traditionsreiche Unternehmen aus Michelhausen beim Landesgericht St. Pölten die Insolvenz anmelden. Mittlerweile ist das Sanierungsverfahren in Eigenverwaltung gelungen. Das Unternehmen wird weitergeführt. Die meisten Arbeitsplätze bleiben erhalten. Der Geschäftsbereich EPS-Dämmstoffe wurde vor kurzem vom Mitbewerber Austrotherm übernommen (siehe Artikel „Sanfte Brucha-Landung“ ab Seite 36).
Oftmals nicht glimpflich
So glimpflich gehen Firmenpleiten meistens nicht aus. „Viele Insolvenzen scheitern bereits bei der Anmeldung, weil die Unternehmen die dafür notwendigen 4.000 Euro nicht mehr in der Kasse haben“, weiß Karl-Heinz Götze, Leiter des Bereichs Insolvenz beim Gläubigerschutzverband KSV1870. Österreich erlebt derzeit die größte Pleitewelle seitdem die Banken- und Staatsschuldenkrise in 2009 die Weltwirtschaft zum Einsturz brachte. Götze rechnet bis Jahresende mit rund 6.500 Insolvenzen. Gerhard M. Weinhofer, Geschäftsführer beim Konkurrenten Creditreform erwartet sogar 7.200.
Angeführt wird die Liste der gescheiterten Unternehmen von den Gesellschaften des Signa-Konzerns des Immobilien-Investors René Benko. In seinem Sog hat es zahlreiche weitere Unternehmen aus der Bau- und Immobilienwirtschaft erwischt. Aber auch andere Branchen sind betroffen. Zu den insolventen Firmen zählen neben den Benko-Unternehmen und der Brucha GmbH auch der namhafte Automobilzulieferer Fisker oder der Heizungsbauer Windhager.
„Eine Insolvenzwelle schwappt seit Jahresbeginn über Österreich. Immer mehr Unternehmen verlieren den Kampf gegen die allgemeine Wirtschaftslage mit hohen Preisen und rückläufiger Nachfrage“, so Weinhofer. „Das sich in einer Rezession befindliche Deutschland als wichtigster Handelspartner reißt Österreich mit hinunter. Hinzu kommen selbstverschuldete Probleme wie zu hohe Lohnabschlüsse, Inflation und ein Reformstau in zahlreichen Politikfeldern.“
Laut KSV1870-Zahlen wurden zum Halbjahr 2024 exakt 3.308 Firmenpleiten verzeichnet. Das waren um 26 Prozent mehr als im Vorjahr. An der Spitze lagen Kopf an Kopf der Handel mit 578 Fällen und die Bauwirtschaft mit 577. Danach folgte mit einem gewissen Abstand die Gastronomie mit 401 Pleiten. Das Ausmaß der Misere verdeutlicht auch ein anderes Detail: Im ersten Quartal verzeichnete der KSV1870 exakt 1.688 Fälle, im zweiten 1.620. Damit lagen beide Quartale im Ranking der insolvenzreichsten Quartale seit 2009 auf Platz 1 und 2. Und von einer wirklichen Verlangsamung kann auch nicht die Rede sein: „Das Tempo hat sich gegen Ende 2023 deutlich beschleunigt und ist bis heute konstant hoch“, meinte KSV-Mann Götze bei der Präsentation der Halbjahreszahlen vor einigen Monaten.
Der KSV1870 zählte zum Halbjahr 36 Großinsolvenzen mit mehr als 10 Millionen Passiva. Götze: „Das gab es noch nie.“ Dementsprechend stiegen auch die gesamten Passiva der insolventen Unternehmen. Sie summierten sich zum Halbjahr auf rund 11 Milliarden Euro. Statistisch betrachtet waren das um 900 Prozent mehr als im Vorjahr. Ein großer Teil dieser Summe entfällt allerdings auf den Sonderfall Benko: auf die Familie Benko Privatstiftung, des Unternehmers Benko selbst und zahlreiche Firmen seines kollabierten Immobilien-Imperiums.
Das ist allerding nur ein schwacher Trost. Seit dem Halbjahr hat sich die Lage zudem nicht gebessert. Dies zeigen die aktuellen Zahlen des KSV1870 für die ersten acht Monate des Jahres, die der Bauzeitung vorliegen. Demnach befindet sich die Zahl der Insolvenzen nach wie vor um 26 Prozent über dem Vorjahr. Mit einem Plus von 25 Prozent liegt der Bau beim Anstieg auf den ersten Blick im guten – oder zutreffender gesagt: schlechten – Durchschnitt. Schaut man genauer hin, trübt sich das Bild aber wieder: Der Hochbau verzeichnete in den ersten acht Monaten ein Plus von 32 Prozent auf 234 Pleiten. Dazu KSV1870-Insolvenzleiter Götze: „Gegenüber 2019 – also dem Jahr vor der Corona-Pandemie – ist die Zahl der Insolvenzen im Hochbau sogar um mehr als das Doppelte gestiegen. Das ist dramatisch.“ Den auf den Hochbau, und hier vor allem auf den Wohnbau, spezialisierten Betrieben hilft es angesichts dieser Zahlen auch wenig, dass der Tiefbau bislang kaum betroffen ist. Hier gab es in den ersten acht Monaten nur fünf Pleiten. Soviel wie im Vorjahr.
Die schlechte Wirtschaftslage drückt auf die Stimmung. Laut einer Creditreform-Umfrage im Frühjahr 2024 unter 1.400 österreichischen Unternehmen ist das Geschäftsklima schlechter als am Höhepunkt der Corona-Pandemie. Die Erwartungen waren so pessimistisch wie seit 30 Jahren nicht mehr – und besonders pessimistisch im Baugewerbe: 54 Prozent der damals befragten Baubetriebe gingen für das Gesamtjahr 2024 von sinkenden Erträgen aus, nur 4,6 Prozent von steigenden Erträgen. „Das ergibt einen Saldo von minus 49,4 Prozentpunkten. Das ist ein sehr schlechter Wert“, meint Creditreform-Geschäftsführer Weinhofer. Zum Vergleich: Das verarbeitende Gewerbe kam auf einen negativen Saldo von 46,1 Prozentpunkten, der Handel auf minus 36,4 und die Dienstleistungen auf minus 30,1.
Dass sich die Stimmung seit dem Frühjahr gebessert hat, glauben die wenigsten Experten – auch die Gläubigerschützer nicht. Vor allem der Blick auf die Baugenehmigungen lässt zudem nichts Gutes für den Wohnbau erahnen. „Die Zahl der Anträge liegt heuer um rund die Hälfte unter dem Wert von 2019. Und wenn es keine Anträge gibt, gibt es keine Projekte“, meint KSV1870-Experte Götze. Seine Prognose: „Das wird den Wohnbau in den nächsten zwei bis drei Jahren beschäftigen. Die aktuelle Situation ist keine Kurzaufnahme.“