Potentiale
Betonfertigteile: Optimierung auf allen Ebenen
Das Jahr 2021 war für die Unternehmen der österreichischen Beton- und Fertigteilindustrie ein äußerst erfolgreiches. Sie berichteten größtenteils von Umsatzsteigerungen, die vor allem vom Hochbau getragen wurden. Und auch die Unsicherheiten bezüglich der Verfügbarkeit von anderen Baustoffen spielte der Betonfertigteilindustrie in die Karten. Im Frühjahr verortete der Verband Österreichischer Beton- und Fertigteilwerke (VÖB) "einen erhöhten Bedarf an Fertigteilen, der durchaus eine Antwort auf aktuelle Unsicherheiten bei anderen Baustoffen ist". Getrübt wurde diese Freude nur von den explodierenden Energiekosten sowie einem Rückgang der ausgeschriebenen Projekte. Und auch in der Fertigung gibt es immer noch Potenziale.
Ausblick eher trüb
"Beim Bauboom ist der Zenit sicherlich überschritten, die Betonfertigteilindustrie blickt auf zwei gute Jahre zurück, und die Auftragsstände sind derzeit noch gut", beschreibt Michael Wardian, Geschäftsführer der Kirchdorfer-Gruppe, die aktuelle Situation in der Branche. Er geht davon aus, dass nach dem doch ruhigeren Sommer die Baustellen im Herbst ohne gröbere Verzögerungen fertiggestellt werden können.
Dennoch trübt der Ausblick auf das kommende Jahr ein wenig die positive Stimmung, die hohen Materialpreise und insbesondere die Energiekosten könnten in ihren Auswirkungen geradezu katastrophal sein. "Durch die Verteuerungen drohen ganze Industrien einzubrechen – ich denke hier z. B. auch an den Tourismus, insbesondere den Skitourismus: Wenn für viele ein Urlaub schlichtweg zu teuer wird, werden auch die Hotels leer stehen, und die Bautätigkeit im Bereich des Tourismus wird zum Erliegen kommen – um nur ein Beispiel zu nennen", so Wardian. "Insofern muss man kein Prophet sein, um davon auszugehen, dass unter den gegebenen Rahmenbedingungen die Baukonjunktur im Jahr 2023 abkühlen wird, vor allem im Hochbau." Deswegen kann es helfen, intern anzusetzen und dort die eigene Produktion zu optimieren, wo Potenziale noch ungenutzt sind oder leicht gehoben werden können. Doch manches wird auch durch externe Faktoren beeinflusst.
Wenn es 'echte', also vollständige BIM-Daten gäbe, könnte das automatische Fertigteilwerk sofort damit arbeiten. Leider wird BIM im Moment hauptsächlich als Verkaufshilfe einsetzt.
Optimierung der Planung
"Ja, es gibt Optimierungsbedarf, aber nicht bei der Fertigung der Betonteile, sondern bei der Planung der Teile", stellt Christian Prilhofer, Geschäftsleitung der Prilhofer Consulting, fest. Das Unternehmen hat sich darauf spezialisiert, weltweit unabhängige Planungs- und Beratungsleistungen für die industrielle Produktion von Betonfertigteilen anzubieten. Den größten Bedarf gibt es seiner Ansicht nach generell in der Gebäudeplanung, die sich einfach zu spät auf ein Bausystem festlegt. "Bei uns wird erst in letzter Sekunde das Bausystem festgelegt – mit allen Nachteilen, die damit verbunden sind", erklärt Prilhofer. "Dadurch kann zum Beispiel die TGA meistens nicht rechtzeitig die Angaben für Einbauten und Öffnungen in den Betonfertigteilen beibringen." Ein Problem, das sich mit funktionierender integrierter Planung lösen ließe, doch davon sei man aktuell noch weit entfernt; BIM sei im Moment nur ein Wunschtraum.
"Bei der Übermittlung digitaler Planungen gibt es jedenfalls Luft nach oben", bestätigt auch Wardian, Kirchdorfer-Geschäftsführer. Zwar beschäftige sich die große Bauindustrie schon seit einigen Jahren intensiv mit dem Thema BIM und der digitalen Baustelle, die Anknüpfungspunkte zu den Vorlieferanten werden im Bereich der Fertigteilindustrie aber noch viel zu wenig gelebt und sind erst recht nicht standardisiert. "Gerade hier orte ich allerdings das größte Potenzial für die Zukunft", so der Kirchdorfer-Geschäftsführer.
Dabei arbeiten die Fertigteilwerke schon seit langem mit sogenannten Echtdaten, die sie aus Papierplänen selber herstellen und über Schnittstellen direkt in die Produktion geschickt werden. "Wenn es 'echte', also vollständige BIM-Daten gäbe, könnte das automatische Fertigteilwerk sofort damit arbeiten", ist sich Prilhofer sicher. "Leider wird BIM im Moment hauptsächlich als Verkaufshilfe eingesetzt."
Alles auf einen Blick
Doch auch in der Produktion der Fertigteile gibt es noch nicht ausgeschöpfte Potenziale. Ein System, das automatisierte Produktions- und Qualitätssicherung verspricht, wurde im Frühjahr vorgestellt und soll diesen Herbst auf den Markt kommen. Der "Chekker" wurde von Robotic Eyes in Zusammenarbeit mit dem Bauproduktehersteller Schöck Bauteile entwickelt und projiziert eine schrittweise Anleitung im Maßstab 1:1 direkt auf die Arbeitsfläche. Dadurch soll das umständliche und fehleranfällige Abgleichen der Papierpläne mit dem Ergebnis wegfallen.
Gleichzeitig sorgt eine automatisierte Kalibrierung für Präzision, die integrierte, automatisierte Qualitätsüberprüfung überwacht die exakte Ausführung und meldet jede Abweichung. Die optional parallel erfassten Zeitdaten erlauben den Fertigteilwerken eine automatisierte Nachkalkulation und sollen auch die Analyse des Herstellungsprozesses erleichtern. Dabei soll der Chekker einfach zu bedienen sein und eine effiziente Hybridlösung aus vollflächiger Beamerprojektion und optionaler AR-Visualisierung auf Tablet, Smartphone oder Holo-Lens darstellen.
Britischer Ansatz
Noch nicht marktreif hingegen sind die Ergebnisse aus dem britischen Forschungsprojekt Acorn, kurz für Automating Concrete Construction. Dem Grundsatz "Form follows Force" folgend untersuchen die University of Bath, die Hochschulen Cambridge und Dundee sowie zahlreiche Partnerunternehmen, wie sich mit automatisierten Herstellungsmethoden beliebige schlanke Geometrien verwirklichen lassen, die Lasten optimal aufnehmen. Dabei brach man mit vorherrschenden orthogonalen Strukturen, die laut den Forschern nur eine Folge der Verwendung standardisierter Schalungselemente seien und den Betonverbrauch deutlich über den statisch notwendigen anheben.
Wie eine Alternative dazu aussehen könnte, zeigt nun ein am NRFIS Laboratory der Universität Cambridge entstandenes Deckenelement im Maßstab 1:1. Mit einer automatisch anpassbaren Schalung – ein einfaches System aus höhenverstellbaren Bolzen, die ein flexibles Gitter regulieren, über das eine Kunststofffolie gelegt wird – und einem robotergesteuerten Spritzbetonauftrag wird je nach Lastverlauf der faserverstärkte Spritzbeton in verschiedenen Stärken aufgetragen. Die fertigen Elemente werden so miteinander verbunden, dass sie sich später leicht demontieren und anderweitig verwenden lassen. Mit dieser Art der Herstellung soll laut Angaben der Forscher eine Reduzierung des Betonbedarfs um 75 Prozent erreicht werden können. Ob dieser Art der Herstellung die Zukunft gehören könnte, ist offen, sie eröffnet aber definitiv neue Möglichkeiten in der Formgebung bei niedrigem Betonverbrauch.
Auf die Mischung kommt es an
"Optimierungsbedarf gibt es natürlich immer",meint auch Wardian. In den vergangenen Jahren habe die Betonfertigteilindustrie das Engineering ganz besonders auf das Thema Sicherheit fokussiert. Dennoch werde vor allem im Hochbau völlig unterschätzt, welche Sicherheit man sich miteinkaufe, wenn man auf mineralische Baustoffe sowie Fertigteile setze. "Wir beschäftigen uns jetzt schon intensiv damit, die Kombination aus Sicherheit und ökologischem Fußabdruck zu verbessern", so Wardian weiter. "Naturgemäß setzt man hier auch bei den Rezepturen und Betonmischungen an, da wir bei der Sicherheit für die Menschen – eines unserer zentralen Argumente – keine Abstriche machen wollen."