Bodenversiegelung

Der Sündenbock als Problemlöser

Boden
08.11.2023

Die Baubranche wehrt sich dagegen, beim Thema Bodenversiegelung als Sündenbock herhalten zu müssen. Sie kann eine Reihe von Lösungen anbieten, um Boden effizienter zu nutzen.
Häuser ohne Bodenversiegelung

Mit dem Begriff „zubetoniert“ kann er wenig anfangen. „Vor kurzem habe ich das Plakat einer NGO gesehen, auf dem die Landkarte von Österreich zu erkennen ist – zur Hälfte mit Beton übergossen“, erinnert sich Sebastian Spaun. „Das war ein Tiefpunkt“, meint der Geschäftsführer der Vereinigung der österreichischen Zementindustrie (VÖZ). „Ich habe vollstes Verständnis dafür, dass die Bodenversiegelung diskutiert wird. Aber das einseitige Bashing muss aufhören. Die Suche nach dem Sündenbock wird uns nicht weiterführen.“ Sein Appell an die politischen Entscheidungsträger: „Wir brauchen einen konstruktiven Dialog.“

Die Suche nach dem Sündenbock wird uns nicht weiterführen.

Sebastian Spaun, Geschäftsführer der Vereinigung der österreichischen Zementindustrie (VÖZ)

Sebastian Spaun/ Geschäftsführer der Vereinigung der österreichischen Zementindustrie (VÖZ)
Sebastian Spaun, Geschäftsführer der Vereinigung der österreichischen Zementindustrie (VÖZ)

Für diesen Dialog lohnt sich auf Blick auf die Fakten: Als versiegelt gelten Böden dann, wenn sie mit einer wasserundurchlässigen Schicht überzogen sind – also beispielsweise durch eine Asphaltierung oder durch ein Gebäude. In Österreich werden 7 Prozent der Landesfläche durch Gebäude, Verkehrs-, Freizeit- und Abbauflächen genutzt. Man spricht hier von der „genutzten Fläche“ oder dem „Bodenverbrauch“. Davon ist aber weniger als die Hälfte auch tatsächlich versiegelt. Dies führt zu einer Versiegelungsquote von 2,9 Prozent. Experten weisen darauf hin, dass für eine faire Betrachtung der sogenannte „Dauerbesiedlungsraum“ herangezogen werden sollte. Das ist die Landesfläche minus Wälder, Gewässer und Ödland. Gemessen am Dauerbesiedelungsraum liegt die Versiegelungsquote in Österreich bei 7,9 Prozent. Mit diesem Wert liegt Österreich in Europa im Mittelfeld. In Deutschland beträgt er zum Beispiel 9,8 Prozent.

Entscheidung im Herbst 2023

Unbestritten ist, dass ein versiegelter Boden für das ökologische System eine Belastung darstellt: Er kann kein Wasser speichern. Der Grundwasserspiegel sinkt. Seen trocknen aus. Zudem führen versiegelte Flächen zu einem Verlust an Biodiversität und Erholungsraum. Die EU und die nationalen europäischen Regierungen wollen daher den Bodenverbrauch reduzieren. In Österreich befassen sich Bund, Länder und Gemeinden auf Ebene der ÖROK (Österreichische Raumordnungskonferenz) mit der Thematik. Dort wird derzeit diskutiert, ob man eine verbindliche Reduktion des täglichen Bodenverbrauchs von derzeit rund 11 Hektar auf 2,5 Hektar bis zum Jahr 2030 festschreiben soll. Die Entscheidung wurde vor kurzem auf den Herbst vertagt.
Vertreter aus der Wirtschaft fordern eine Diskussion ohne Polemik. So vor kurzem auch der Österreichische Handelsverband bei der Präsentation einer Studie zum Thema Bodenverbrauch. VÖZ-Geschäftsführer Spaun ist davon überzeugt, dass seine Branche zu einer „sachlichen Suche nach konstruktiven Lösungen zur Reduktion des Bodenverbrauchs“ viel beitragen kann. Ein möglicher Ansatz besteht darin, in die Höhe und Tiefe zu bauen statt in die Fläche. Spaun: „100 Wohnungen in einem mehrgeschossigen Gebäude verbrauchen natürlich deutlich weniger Fläche als 100 Einfamilienhäuser in Speckgürtel Wiens.“ Als Beispiel nennt der VÖZ-Vertreter den DC Tower 3, der kürzlich im 22. Wiener Gemeindebezirk in Betrieb genommen wurde. Das 110 Meter hohe Gebäude bietet auf 34 Geschossen 832 Apartments für Studenten. Es befindet sich in der Auffahrtsschleife von der Donauuferbahn zur Reichsbrücke direkt über der U-Bahn – also ein Grundstück, das kaum anderweitig verwertbar gewesen wäre. Spaun: „Ein echter Totraum, der jetzt effizient genutzt wird, ohne unberührten Boden zu verbrauchen.“
Einen anderen Ansatz verfolgen die Planer*innen bei der Hochgarage Seehub in der Seestadt Aspern. Sie nutzen die Bodenfläche, die für ein Infrastrukturgebäude verbraucht wird, in diesem Fall eine Garage, für zusätzliche Anwendungen: Neben 441 Stellplätzen für Autos beherbergt der Seehub auch 1.050 Quadratmeter Bürofläche, ein Indoor-Entertainment-Center im Untergeschoß und insgesamt fünf Fußballplätze auf dem Dach.
Mit relativ einfachen Mitteln lässt sich die Gestaltung von Parkplätzen und Fahrbahnen ändern, auf denen mit niedriger Geschwindigkeit gefahren wird und die Abrollgeräusche daher niedrig bleiben. Anton Glasmaier, Geschäftsführer des Verbands Österreichischer Beton- und Fertigteilwerke (VÖB): „Parkplätze bestehen bislang zu 99 Prozent aus Asphaltflächen. Die könnte man anders gestalten.“ Er verweist auf kleinformatige Betonfertigplatten, die mit daumendicken Fugen verlegt werden und so das Wasser durchlassen, oder auf wasserdurchlässige Steine.

geringe Bodenversiegelung durch Pflastersteine
Plasterung mit Sicker­fuge von 8 Millimeter.

Im städtischen Bereich wird verstärkt das Schwammstadt-Konzept umgesetzt. Dabei leitet man Regenwasser gezielt zu einem Baum. Unterhalb des Baumes errichtet man große Schotterkörper mit einem Volumen von 25 Kubikmetern, in denen das Wasser gespeichert werden kann. Das Substrat unter der Oberfläche funktioniert wie ein Schwamm – daher der Name. Auf diese Weise gelingt es, Bäume in der Stadt am Leben zu halten und ihre Funktion als natürlich Klimaanlage zu nutzen. „Bäume beginnen ab einem Alter von 20 Jahren für das Mikroklima zu wirken. In den Städten sterben sie aber meistens mit 10 Jahren“, so Christopher Peiritsch von ACO Österreich, einem Unternehmen, das sich auf Entwässerungstechnologien spezialisiert hat.

Keine Versiegelung

Die Spezialität von LibertyDotHome ist der Bau von Häusern ohne Bodenversiegelung. Das erreicht das junge Unternehmen aus Oberösterreich durch den Einsatz von Erdschrauben. Die Funktionsweise ist einfach erklärt: Man fertigt eine Holzbodenplatte als Fundament, bringt eine Humusschicht auf, modelliert einen Schotterkoffer und schraubt dann die Erdschrauben ins Erdreich. Abschließend wird die Holzplatte auf die Schrauben montiert, sodass sie 10 bis 15 Zentimeter Abstand zum Erdreich hat. Der Effekt: Die Erde bleibt frei. Sie bekommt Luft, und das Regenwasser kann weiter einsickern. Laut Geschäftsführer Markus Hörmanseder haben die Oberösterreicher „bislang knapp 20 Projekte umgesetzt“ – zumeist Tiny Houses und Einfamilienhäuser mit Bodenplatten bis zu 100 Quadratmetern.  
Thomas Hoppe, Sprecher des Verbands der Ziviltechniker- und Ingenieurbetriebe (VZI), ist davon überzeugt, dass seine Berufskolleginnen und Kollegen ebenfalls einen wesentlichen Beitrag zu einem effizienten Umgang mit der Ressource Boden leisten kann: „Als Planer*in hat man die Verpflichtung, den Bedarf zu klären und dann die Nutzfläche zu optimieren. Nur das was man braucht, sollte man herstellen.“ Zu einer intelligenten Planung gehört seiner Meinung nach zudem, Gestaltungsspielraum für eine andere Nutzung eines Gebäudes in der Zukunft zu ermöglichen: „Denken Sie an einen Kindergarten im Zentrum einer Gemeinde. In 40 Jahren, wenn die Gemeinde nicht mehr wächst, könnte man den in ein Altersheim umwandeln – ohne weiteren Boden zu verbrauchen.“

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