Gespräch mit Maria Auböck
Informelle Stimulation
Susanne Karr: Im Gespräch über das Werk Ihres Vaters faszinierte mich besonders die Formulierung »informelle Stimulation«, die Sie als Grundlage für die Vielseitigkeit seines Schaffens nannten. Diese fand im damaligen künstlerischen und familiären Umfeld statt. Wie würden Sie die Wirkung beschreiben?
Maria Auböck: Die Eltern meines Vaters hatten sich am Bauhaus in Weimar kennengelernt und ihm zuhause das Leben mit Kunst vermittelt . Der Sohn Carl ist in einem Ambiente zwischen Handwerk, bildender Kunst, Malerei und Bildhauerei aufgewachsen. In den dramatischen Entwicklungen des Zweiten Weltkriegs wurde er gleich nach der Matura zum Militär eingezogen und wenige Wochen danach verwundet. Danach studierte er an der Technischen Hochschule Wien.
In der Zeit des Wiederaufbaus herrschte Aufbruchsstimmung in allen Sparten der Kunst. Durch die Künstlergruppe rund um die Galerie nächst St. Stephan entstanden langjährige Freundschaften, etwa mit Josef Mikl und Wolfgang Hollegha.
Ihr Vater erhielt vielfältige Aufträge auf verschiedenen Gebieten. Es ging zum Beispiel um Besteckentwürfe, um Skimode und Skibindungen, andererseits um Häuser und Siedlungen. Die Produktvorfertigung hatte ihn bei seinem Aufenthalt am MIT sehr beeindruckt.
Er erzielte Aufmerksamkeit in der Zusammenarbeit mit Roland Rainer mit der Fertigteilsiedlung Veitingergasse und akquirierte danach weitere Aufträge, etwa für den Pavillon der Arbeiterkammer auf der Wiener Messe, oder bei den Wiener Gemeindebauten. In den 60er-Jahren errichtete er Wohnungen und Geschäfte im modernen Stil, zum Beispiel für Otto Groh, der in den frühen 60er Jahren begonnen hatte, skandinavisches Design wie finnisches Porzellan von Arabia zu importieren. Mein Vater baute die österreichischen Kulturinstitute in Paris, London und Rom um und errichtete in den 70er Jahren das Wohnhaus für die Familie Fillitz. Weitere Auftraggeber waren Friedrich Heer oder Aage Ansgar Hansen-Löve. Auch für Helmut Qualtinger gab es Entwürfe.
Was waren die wichtigsten Einflüsse auf seine kreative Entwicklung?
Wichtig waren der Aufenthalt am MIT 1952, da er die Bauhausprofessoren Walter Gropius und Herbert Bayer wieder traf. Mit Herbert Bayer wurde er 1960 zu einem Designkongress nach Japan eingeladen. Einen Kontakt zur Hochschule für Gestaltung Ulm bildete Walter Zeischegg, der ein Partner meines Vaters bei der Gestaltung der Ausstellung für die Arbeiterkammer war. Einige Professoren dort gehörten zu den besten Designern Europas. Damals wollte mein Vater am liebsten aus Österreich weg und nach Deutschland gehen, weil die Aufbruchsstimmung so dynamisch war. In Ulm war der Unterricht sehr fortschrittlich, wollte viele Bereiche des Lebens transformieren und verstand Design als eine lebensbereichernde Form.
Wie eine zweite Biografie war sein Engagement das Arbeiten für designorientierte Organisationen. Von 1973-76 war mein Vater Präsident der ICSID (International Council of Societies of Industrial Design). Außerdem war er gut vernetzt mit der Designszene Mailand. Es gab dafür Initiatoren wie den Architekturhistoriker Edgar Kaufmann Junior, dessen Eltern das Haus of Falling Waters von Frank Lloyd Wright errichten ließen, oder Konrad Wachsmann, mit dem er schon in den 50er Jahren Reisen nach Deutschland unternahm. In den späten 60er Jahren kooperierte er für ICSID mit dem japanischen Designer Kenji Ekuan, der international tätig war. 1981 war mein Vater Präsident des College of Delegates der UIA und für diese internationale Architekturorganisation bei Tagungen in Tschechien, Polen und Ungarn tätig.
Für Ihren Vater sind exzellentes kreatives Schaffen und die Vermarktung der Produkte in keinerlei Gegensatz gestanden. Er verkörperte nie das Bild des “armen Künstlers”.
Mein Vater folgte dem Ansatz: es gibt eine Aufgabe, und ich versuche ein Objekt zu finden, das deren Lösung in sich trägt. Das Stilisieren von Selbstkritik und die Sinnfrage, die man während meiner Studienzeit für so wichtig hielt, waren nicht sein Stil. Die Erkenntnis, dass man in der kreativen Szene genauso ein Entrepreneur sein muss wie in einem technologischen Unternehmen, kam ab den 80er Jahren nicht mehr in allen Szenen gut an. Die Gedanken pendelten zwischen den Fragestellungen der Kapitalismuskritik und dem Anspruch an Gestaltung als eine altruistische Lösungssuche. Das oberste Ziel seiner Meisterklasse war es, die Studierenden an die Idee heranzuführen, ihr eigenes Selbst als Ressource zu begreifen und durch Selbstbeobachtung das Entwerfen zu einem besseren Ergebnis zu bringen.
Als international tätige Architektin stehen Sie einerseits in der Familientradition, haben aber die Landschaftsarchitektur hinzugefügt. Inwiefern hat Sie das Familienerbe geprägt, und wo gehen Sie über den Einflussbereich hinaus?
Schon in der Zeit meines Studiums in den 70er Jahren hatten für mich Fragen der Umwelt klare Priorität. Der Schwerpunkt Städtebau war beeinflusst durch Roland Rainer, Günter Feuerstein und andere. Es ging um Partizipation, das Leben mit der Natur, die Verantwortung in der Ökonomie. Man kann das auf einer höheren Ebene als Familientradition sehen, aber transformiert durch meine eigene Arbeit.
Sie vertreten eine großräumige Implementierung der Prinzipien eines taktischen Urbanismus, um Schritt für Schritt urbane Bereiche qualitativ aufzuwerten.
In den eigenen partizipativen Projekten erkennen wir stufenweise, wie sich die Jahrzehnte verändern. Mein Hauptthema ist Landschaftsgestaltung als Programm, das man im Klimawandel umsetzen muss, um gute und brauchbare Landschaftsräume zu realisieren.
Mehrfach konnten wir im geförderten Wohnbau bessere Lebensumstände ermöglichen. Um so wichtiger, wenn es im Klimawandel zu stressigen, schwer erträglichen Hitzeereignissen kommt. So haben wir im Zentrum von Baku in Aserbaidschan eine große Parkanlage angelegt. Auch für Österreich ist wichtig, dass die neuen Gesetze vieles ermöglichen werden: das Öffnen der versiegelten Flächen, das Renaturieren.
Ihr Büro legt Wert darauf, qualitätsvolle Räume für Mensch und Natur zu schaffen, seien es Bäume, Flüsse, oder Tiere. Haben Sie den Eindruck, dass die Öffentlichkeit die Dringlichkeit dieses Anliegens versteht?
Wir werden durch die Öffentlichkeit sogar gedrängt, andere Denkweisen zu schaffen. Ein schönes Zitat dazu stammt von der früheren Stadtbaudirektorin Berlins, Regula Lüscher: “Es braucht ein neues Mindset für die Planung.” Dem stimme ich zu. Heute erhalten wir Anfragen für Programme, die einen gesamten Siedlungsraum betreffen, während es noch vor wenigen Jahren um drei, vier Häuserblocks ging. Da hat die Öffentlichkeit viel mitgesprochen. Eine weitere gute Nachricht ist, dass wir für die Stadt Wien ein Klimaschutzgesetz bekommen werden. Das ist sehr vernünftig.
Ausstellung
Das Architekturzentrum Wien würdigt in einer aktuellen Ausstellung Carl Auböck. Der Architekt und Designer hätte heuer seinen 100. Geburtstag gefeiert. Die Ausstellung läuft und verändert sich noch bis 4. November. Lesen Sie unseren Beitrag darüber hier.